Auditorium

“Ich bewundere ja die Leute die genug Selbstvertrauen haben um einfach vor so vielen Leuten zu sprechen. Ich bekomm ja schon vor meiner alten Klasse kein Wort raus." Wie wahr. Wir sind uns überraschend ähnlich. Wenn die anderen Leute hier so sind wie Remy wird mein Aufenthalt hier wohl doch nicht so schlimm sein. Hoffentlich. 

"Also...es ist so...ich bin schwul und...mein Vater ist ein Alkoholiler." Schweigend hörte ich meinem neuen Freund zu. Erst als Remy davon erzählte wie sein Vater ihn geschlagen hatte krampfte sich mein Magen zusammen. Oh scheiße. Dachte ich mir. Der Arme. Doch ich sagte nichts bis er mit seiner Geschichte fertig war. “Aber ich weiß, dass meine Brüder mich zu sich holen, wenn ich hier raus komme. Mein ältester Bruder hat es mir versprochen." 

Meine Augen brannten leicht. Meine Familie hatte mich geliebt. Ich war freiwillig gegangen um sie zu beschützen. Ich kann mir gar nicht vorstellen wie es ist so eine Familie haben zu müssen, wie Remy sie hat. Warum haben einige von uns ein gutes Leben und andere nicht? Wer entscheidet wer weint und wer lacht? Remy hat diese Trauer nicht verdient. Ich spürte wie meine Hände leicht zitterten und Wut in mir hoch kochte. Nein. Nicht jetzt. Bitte nicht. Ich wiederholte diese Worte wieder und wieder in meinen Gedanken. Ich will nicht, dass er meine Fähigkeit sieht. Ich muss diese Wut los werden. Ich muss an etwas glückliches denken. Wut und Furcht würden meine Kräfte hervor rufen und ich wolle nicht meinen ersten Freund hier verlieren, in dem ich ihn versehentlich verletze. Also zwang ich mich an etwas anders zu denken, irgendwas glückliches. Irgendwas, was mich zum Lächeln bringt.

Ich stellte mir meine Familie vor. Meine schönsten Erinnerung mit ihnen. Mein Herzschlag wurde wieder normal und meine Hände entspannten sich in meinen Jackentaschen. Okay, gut. Doch nun rollte mir eine Träne die Wange hinunter. In diesem Moment wollte ich einfach zu meiner Mutter oder meinem Vater rennen, wie ein kleines Kind. Aber du bist kein kleines Kind mehr, also hör auf dich wie eines zu benehmen. Ich schluckte und wandte mich an Remy wieder. 

"Das tut mir leid für dich, Remy. Ich hoffe, dass du deine Brüder wieder sehen wirst." Mir fiel nichts anderes ein, was ich hätte sagen können. Was sagt man überhaupt in so einer Situation? Es gibt nichts was man sagen kann. Meine Worte können seine Situation nicht weniger scheußlich machen.

Es war, als würde ich aus einer Trance aufwachen. Eilig war Remy auf die Bühne zu mir geklettert und stand plötzlich bei mir. Seine Hand, die die Träne von meiner Wange wegwischte, hätte mich fast dazu gebracht zusammen zu zucken. So tief war ich in meinen Gedanken versunken gewesen. Scheiße, jetzt weine ich auch noch vor ihm. Trotzdem tat es gut umarmt zu werden. Wann war das letze Mal als mich jemand umarmt hatte?

"Natürlich werde ich sie wieder sehen Dummerchen. Meine Brüder haben noch nie ein Versprechen gebrochen. Und wenn ich hier endlich raus kann, dann ist mein ältester Bruder 24. Er ist nur noch nicht ausgezogen, um mich zu beschützen. Aber jetzt wird er sich eine Wohnung suchen und mich dann zu sich holen." Würde meine Familie so etwas für mich tun? Wer weiß. Hoffentlich. Ich würde jedenfalls so etwas für sie tun, immer und jeden Tag.

"Mach dir keine Sorgen darum, ok? Wenigstens hab ich schon dich als Freundin gewonnen, also wird die Zeit hier auch schneller vorbei gehen, als man gucken kann."

"Danke." Ich erwiderte sein Lächeln leicht und rieb mir kurz die Augen, um weitere Tränen zu verhindern. "Tut mir leid, sonst weine ich wirklich nicht. Ich glaube, ich bin einfach etwas überfordert mit dieser ganzen Scheiße von einem Internat und so. Ich lachte ein kleines, halbherziges Lachen. Naja, hoffen wir mal, dass die Zeit schnell vergeht.